Film-Pionierin Fern Andra
Vom Drahtseil zur Leinwand
Vom Drahtseil zur Leinwand
Seit den Anfängen des Films haben Frauen als Drehbuchautorinnen, Produzentinnen und Regisseurinnen das Kino maßgeblich geprägt. Ausnahmetalente wie Alice Guy-Blaché und Germaine Dulac in Frankreich, Elvira Notari in Italien, Lois Weber in den USA und Esfir Shub in der UdSSR waren Pionierinnen der Filmkunst.
Trotz ihrer Bedeutung in der Stummfilmzeit sind ihre Namen in Vergessenheit geraten und jahrzehntelang nicht in die Filmgeschichte aufgenommen worden. Dank der Bemühungen von Filmwissenschaftlerinnen und Kuratorinnen konnten diese bemerkenswerten Filmemacherinnen und ihre Werke wiederentdeckt werden.
Fern Andra war eine dieser Filmpionierinnen.
Die 1893 in Illinois als Fern Edna Andrews oder Vernal Andrews geborene Künstlerin hatte eine ebenso spektakuläre Karriere wie ihr Leben.
Im Alter von nur vier Jahren trat Fern in einer Vaudeville-Show als Seiltänzerin auf, 1899 gab sie ihr Filmdebüt in „Uncle Tom's Cabin“. Sie spielte die Rolle der kleinen Eva und war damit eine der ersten Kinderdarstellerinnen im Kino.
Später schloss sie sich als Seiltänzerin den Millman-Schwestern an, einer bekannten Gruppe von Akrobaten, und tourte durch die USA, Kanada und Europa. Bird Millman, die Leiterin der Truppe, war eine der berühmtesten Hochseilartistinnen und ein Star der Ziegfeld Follies zu jener Zeit.
Nach ihrer Zeit bei den Millmans startete Fern Andra ihre Karriere in Europa.
Sie produzierte und spielte die Hauptrolle in der „Ragtime Revue“ in London, bevor sie sich in Wien niederließ. Kurze Zeit später wird sie von Leo Gaumont unter Vertrag genommen, und so führt ihr Weg nach Berlin. Sie nimmt zunächst Schauspielunterricht bei Max Reinhardt. 1913 spielt sie in „Ave Maria“ unter der Regie von Charles Decroix, es folgen weitere Kriegsfilme: „Auf Patrouille im Osten“ und „Vermißt gemeldet“.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte zur Schließung der deutschen Niederlassung von Gaumont, was Fern Andra dazu veranlasste, ihre eigene Produktionsfirma zu gründen.
1915 wurde sie als Produzentin und Drehbuchautorin für ihren ersten Film, „Geheimnisvolle Gewalten“, anerkannt. Im selben Jahr führte sie bei ihrem ersten Film, „Eine Motte flog zum Licht“, Regie.
Es ist der erste Film, der im Zirkusmilieu spielt, ein Schauplatz, der auch in Andras späteren Werken bevorzugt wird. 1916 eröffnete sie das Fern-Andra-Filmatelier in Berlin und besaß außerdem Kinos in München und Düsseldorf. Georg Bluen, ein ehemaliger Kollege von Gaumont, wurde ihr Geschäftspartner und führte bei einigen ihrer Filme Regie.
Als Produzentin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Darstellerin wirkte Fern Andra allein in Deutschland in über 40 Filmen mit.
Ihr Repertoire an weiblichen Rollen ist breit gefächert: Sie spielt die Millionärstochter, Bürgersfrau, Balletttänzerin, Blumenhändlerin, Schlangentänzerin, Königin und Sklavin. Viele ihrer Filme spielen im Zirkusmilieu, wo sie ihr Talent als Trapezkünstlerin, Seiltänzerin oder Tierbändigerin unter Beweis stellen kann.
Mag die zeitgenössische Kritik sich über die Qualität ihrer melodramatischen Filme streiten, Fern Andra ist neben Asta Nielsen und Henny Porten in den 1910er und frühen 1920er Jahren unangefochten ein Star und Publikumsliebling in Deutschland.
Sie ist eine "self-made woman" des Films, die das Geschäft von Kindesbeinen an gelernt hat. In ihren beiden Autobiografien erzählt sie von sensationellen Abenteuern, was die damalige Presse ironisch kommentiert.
Das Privatleben der Andra ist ebenso spektakulär. Als Amerikanerin wird sie während des Ersten Weltkriegs Spionage verdächtigt und gilt als 'feindliche Ausländerin'. Nur die Heirat mit einem deutschen Baron rettet sie angeblich vor dem Tod.
1919 verlässt Fern Andra ihre Produktionsfirma und arbeitet mit Robert Wiene, dem Regisseur des Weimarer Stummfilmklassikers „Das Cabinet des Dr. Caligari“. In Wienes „Genuine“ (1920), einem expressionistischen Horrorfilm im Stil von „Caligari“, erhält Andra für die Titelrolle große Anerkennung.
1922 geht eine Sensationsmeldung durch die Presse: Die Zeitschrift "Variety" erklärt Fern Andra nach einem Flugzeugabsturz für tot,Fern Andra jedoch überlebt. Anfang der 1920er beginnt ihre Popularität in Deutschland zu sinken, da weder ihre Themen noch ihr Schauspiel den Vorstellungen moderner Filmdarstellung entspricht.
1928 geht sie nach England, zwei Jahre später zurück in die USA, ohne jedoch an ihre früheren Erfolge anknüpfen zu können.
Ihre letzte Rolle spielt sie 1943 in dem Drama „Lotus Lady“. Danach inszeniert sie Theaterstücke, arbeitet für den Rundfunk und als Managerin und Kostümberaterin in Hollywood.
Verheiratet mit einem US-General, kehrt sie Anfang der 1950er Jahre nach Deutschland zurück. 1966 steht sie noch einmal in dem Theaterstück Tragödie einer „Diva auf der Bühne“. Bis 1973 lebt Andra in Wiesbaden, immer auf der Suche nach ihren Filmen, die heute fast alle als verschollen gelten. Eine Kopie von „Um Krone und Peitsche“ sowie einige Filmfragmente bewahrt das EYE Film Institute in den Niederlanden. Aus urheberrechtlichen Gründen ist der Film online nicht länger verfügbar.
Fern Andra stirbt 1974 in Aiken, South Carolina.